»Larissa« ist ein Roman aus der Feder Hubert Ernst Gilberts und wurde im Jahre 1930 im Berliner Dom-Verlag veröffentlicht und 2024 vom Verlag Antaios aus der Dachbodenkiste gekramt und neu verlegt. Das Buch hat 304 Seiten, inklusive eines von Erik Lehnert beigesteuerten Nachwortes. Ebenso wie sein indirekter Vorgänger »Laternenpfähle warten«, hat es ein schlichtes graues Hardcover mit optisch ansprechendem Schutzumschlag und ein weinrotes Lesebändchen.
Protagonist ist Hauptmann a.D. Heinrich Ilgen, der nach seinem Dienst im Ersten Weltkrieg in Westpreußen in Freikorpsreihen gekämpft hat, anschließend unter Ehrhardt auf Berlin marschiert und nach seiner Zeit unter Russenfahne gegen die Polen im Weimarer Berlin ankommt und auf der Suche nach Unbekanntem ist. Ilgen ist ein cholerischer Draufgänger, leidenschaftlicher Sturkopf, literarisch und sprachlich Gebildeter, geprüfter Besserwisser, inbrünstiger Polenhasser und abenteuerlustiger Weiberheld – ein Lebemann wie er im Buche steht. In Berlin wird er im Ostverband für eine Bürotätigkeit zur Informationsbeschaffung zur Lage der Deutschen auf polnischem Staatsgebiet eingestellt und erhält dadurch Zugang zu einer Wirtschafts- und Nachrichtenorganisation, die sich aus Mitgliedern eines exklusiven Klubs zusammensetzt. Zwischendurch reist er kurzzeitig nach Oberschlesien, um die Polen vom Annaberg zu verjagen und wird sich bewußt, daß die Schreibtischarbeit nichts für ihn ist. Es zieht ihn nach Ostpreußen, wo er sich am Aufbau des industriellen Teils der Schwarzen Reichswehr beteiligt und schnell in einem recht undurchschaubaren Durcheinander von wirtschaftlichen und geheimdienstlichen Interessen verschluckt wird, dem er zu entfliehen gedenkt. In München lernt er Larissa Werner, eine Mitarbeiterin des russischen Geheimdienstes kennen, in die er sich Hals über Kopf verliebt und für sie um die halbe Welt reisen wird. Seine Reise führt ihn, zusammen mit seinem bolschewistischen Kameraden Iwan Botkin, von Königsberg für einen Geheimauftrag in russischem Dienst nach Moskau. Dort erhält er die Aufgabe, als Oberbefehlshaber einer Armee in Turkestan einen Aufstand niederzuschlagen, um unter dem Deckmantel der sozialistischen Idee den Kampf um die Ölfelder Bakus zu gewinnen.
»Ich habe meine Heimat wirklich geliebt … liebe sie noch … habe ihr gedient und diene ihr hier […]«
Die Kunstfigur des Hauptmann Ilgen ist eine Zusammensetzung aus Erlebnissen des Autors und realen oder fiktiven Handlungen aus seinem Umfeld oder dem allgemeinen Weltgeschehen, die sowohl in »Larissa« als auch in »Laternenpfähle warten« zu den Geschichten des Protagonisten zusammenfließen. Ilgen ist, wenngleich er für das sowjetische Rußland in den Krieg zieht, mitnichten Kommunist, sondern betrachtet den Kommunismus als berechtigten russischen Imperialismus und findet mehr an gewissen Methoden als an den Inhalten Gefallen. Seinen Auftrag als Oberbefehlshaber erfüllt er nicht als politischer oder weltanschaulicher Bekehrer; er ist durch und durch Soldat und nimmt die Rolle des Anführers einer wilden Räuberbande ein. Ebenso wie Ilgen war Gilbert als Soldat im Ersten Weltkrieg tätig und in verschiedene Kampfhandlungen als Freikorpskämpfer involviert und führte zudem laut Ernst Jünger mehrere Divisionen unter russischer Fahne an – möglicherweise wurde aber auch Jünger durch das Verschmelzen von Realität und Fiktion getäuscht.
»Laternenpfähle warten« wurde in der Originalausgabe als »ein Buch voll Unruh« bezeichnet und die Beschreibung trifft genau so gut auf »Larissa« zu. Nicht nur werden von Gilbert zahlreiche Orts- und Handlungswechsel vorgenommen, sondern auch die Zeitform ändert sich im Laufe des Buches. Die Unruhe und Dynamik des Romanes überträgt sich auch auf den Leser, der nach zwanzig Seiten bereits vergessen hat, was gerade geschehen war – nicht etwa weil das Buch zu kurzweilig verfaßt ist, sondern weil die bisweilen gar chaotischen Handlungen und Dialoge die Aufmerksamkeit stark beanspruchen, um nicht im Strudel der Geschehnisse unterzutauchen. Hauptmann Ilgen zitiert gerne auf Englisch oder Französisch, und viele Wörter auf Russisch oder Ortsnamen und Begriffe aus dem turkestanischen Raum sind sicherlich nicht nur mir unbekannt – vereinzelt wären also Fuß- oder Endnoten wünschenswert gewesen. Anderseits trägt gerade das Fehlen dieser vielleicht zusätzlich zu der Unruhe des Buches bei und trifft den Charakter des Inhaltes.
»Larissa« ist kein Buch, durch das man sich quälen muß. Es ist ein Buch, das man erleben möchte. Am liebsten mit Zigarre im Mundwinkel und Gewehr in der Rechten, während man im Galopp durch die usbekische Wüste reitet, Landsknechtslieder singend, und Staubkörner in die Augen wehen, aber man durchweg, ununterbrochen Deutschland im Blick hat. Umso mehr freue ich mich auf den abschließenden Teil der Trilogie und spreche meine absolute Leseempfehlung für Hubert Ernst Gilberts »Larissa« aus.