Über Jahrzehnte hinweg hat man uns Deutschen weismachen wollen, daß unsere Vorfahren Monster gewesen seien. Es wurde der Versuch unternommen, sie jeglicher menschlicher Charakterzüge zu berauben; mit einer nie zuvor dagewesenen Nachdrücklichkeit hat man nicht nur ihr Wirken in der Vergangenheit, sondern auch dessen Schall in die Gegenwart entweder verlogen verteufelt oder gar gänzlich ausradiert.
Der vorliegende Text enthält Auszüge aus der Lebensgeschichte meines Urgroßvaters, die bislang der Öffentlichkeit verborgen geblieben waren, die ich aber auf diesem Blog veröffentlichen möchte, um dem häßlichen Mythos der Bundesrepublik Deutschland die Realität aus erster Hand näher zu bringen. Mein Urgroßvater war Doktor der Agrarwissenschaften, leidenschaftlicher Landwirt, erfolgreicher Gutsbesitzer, liebevoller und vierfacher Familienvater, Burschenschafter in Jena, Hauptmann der Wehrmacht und ein Vorbild in jeder Hinsicht. Dieses Erbe, frei von materiellen Dingen, hochzuhalten und weiterzugeben, ist unsere Pflicht.
Mehr als 35 Jahre – mehr als ein Menschenalter nach volkstümlichem Zeitmaß – sind vergangen, seit wir auf die Flucht gehen mußten. Ohne lange Überlegung – es war keine Zeit zum Nachdenken – mußten wir die Treckwagen angesichts der brennenden Nachbardörfer unter Tränen besteigen, auch die Männer schämten sich des Weinens nicht. Aber in den Köpfen der verzweifelten Menschen und in ihren Worten kam immer wieder zum Ausdruck: es ist nur ein Ausweichen vor den Kampfhandlungen. Wenn alles vorbei sein wird, kommen wir wieder zurück. So vergrub manch einer seine wertvollen Sachen und Dinge, die er erhalten wissen wollte, im Park hinter dem Gutshaus an verschwiegener Stelle oder hinter der Scheune seines Bauernhofes.
Niemand von uns ahnte oder wußte gar, was die Verantwortlichen der Feindmächte in Teheran und Jalta schon längst beschlossen hatten – auf der Konferenz von Teheran waren von ihnen schon Ende 1943 die Grundzüge der Friedensbedingungen mit der Einteilung der Besatzungszonen festgelegt –: Deutschland bis zur Oder wird polnisch! Das als Ausgleich für die Gebiete, die Stalin – hartnäckig und unerbittlich – entschlossen war, Polen an dessen Ostgrenze zu Rußland wegzunehmen oder seinem russischen Land einzuverleiben – ohne die dort lebenden Menschen. Die mußten weg, für sie brauchte er die deutschen Ostgebiete, selbstverständlich unter Vertreibung der dort wohnenden deutschen Menschen. Selbstbestimmungsrecht der Menschen? Nur dann, wenn es in die Pläne der Sieger paßte.
In meiner Arbeit »Das war Eure Heimat!« habe ich Euch über die heimatliche Landschaft, über die Wirtschaft und das Leben dort berichtet und Euch von dem Werden und Wachsen unserer Betriebe erzählt, bis zu dem Zeitpunkt, als der Ausgang des Krieges uns von Haus und Hof vertrieb.
Am 03. Mai 1945 wurde die Stadt Hamburg den Engländern übergeben. Damit war für mich, der ich seit März dieses Jahres als Dritter Generalstabsoffizier (Ic) im Stab des Kampfkommandanten Generalmajor Wolz eingesetzt wurde, der Krieg zu Ende. […] Es ist eigentlich ganz selbstverständlich und bedarf keiner Begründung, daß in solchen Zeiten, in denen niemand wußte, was der nächste Tag für Überraschungen bringen würde und welche geradezu widersinnigen Anordnungen der gegnerischen Befehlsstellen den vorgesehenen Ablauf der Aktionen und Einsätze der Akteure umstoßen könnten, jeder an verantwortlicher Stelle Tätige sich selbst einen Passierschein besorgte. Das war die Voraussetzung dafür, sich selbst einer unerwarteten und unerwünschten Kommandierung der Besatzungstruppe entziehen zu können.
So auch bei mir, als Parolen durchsickerten, daß die ehemaligen Ic-Stabsoffiziere zur Auswertung der von ihnen geführten Kriegstagebücher nach Südengland transportiert werden sollten. Über die Zeitdauer oder gar die Rückkehr wurde nichts berichtet. Nach den vorliegenden Erfahrungen bei ähnlichen »Kommandierungen« war es an der Zeit, sich abzusetzen. So landete ich denn nach inoffizieller, aber vorschriftsmäßiger Abmeldung bei meinem deutschen Kommandeur […] in voller Uniform, allerdings ohne die Kriegsorden, die schon bei der Kapitulation Hamburgs hatten abgelegt werden müssen, in Niebüll bei meiner Familie in der Notunterkunft. Die Uniform verschwand, jetzt war ich wieder Zivilist und Landwirt.
[…] Aber wie sah mein eigener Wohnraum aus? Eine Kammer unter dem Reetdach – bretterverschlagen mit abgenutzter Tapete beklebt! Eine klobige Holzbettstelle mit Strohsack war das Nachtlager; das Waschbecken stand in der Waschküche am anderen Ende des Hauses. So war der Anfang des neuen Lebens!
Erst an diesem Abend, auf der Bettkante sitzend, kam mir nach der Hektik der letzten Monate des Krieges, die gar keine Überlegung, kein Nachdenken hatte aufkommen lassen, mit voller Wucht der gewaltige Unterschied zu dem Einst, dem Verlorenen, zum Bewußtsein. Hier das Nichts an Hab und Gut, das Nichts an sozialer Stellung, und dort der eigene Besitz, die einstige gesellschaftliche Position. Die materielle Grundlage für die Familie, das Stück Brot, der Liter Milch, das bißchen Butter und vielleicht auch mal ein Stück Fleisch zur Verbesserung der damaligen Hungerration war zwar in ganz bescheidenem Rahmen da, aber wir würde, wie konnte es weitergehen?
Was wir zurückgelassen hatten, das war das vom Vater ererbte Gut Heinrichsaue, und das war das von […] Onkel Hermann Jakobsen ererbte Gut Hermannswalde. Was wir verloren hatten, das war die Eingliederung in die Gesellschaft.
[…] Ihr wißt nichts von unserem Leben und Wirken in der Heimat. Dieser Bericht soll Euch zeigen, wie es war.
Verantwortlich für den Maschinenpark, abgesehen von dem Dreschsatz, war Friedrich Brahms, ältester Sohn von Kutscher Karl Brahms und in Heinrichsaue geboren. Er hatte seine Laufbahn 1927 im Pferdestall angefangen. Durch die sorgfältige Ausführung seiner Arbeiten auf dem Acker und seine unbedingte Zuverlässigkeit fiel er uns schon in jungen Jahren auf. Es war also naheliegend, ihn bei der Anschaffung des Treckers für den Posten des Fahrers auszuwählen. Nach einer mehrwöchigen Ausbildung in der Werkstatt der Lieferfirma übernahm er den Schlepper. Wie vordem seine Pferde, so wuchs ihm jetzt der Schlepper mit seinen Aggregaten ans Herz. Und als die Görbingschen Methoden mit genau einzustellenden Furchentiefen sowie der Unterfassung der alten Pflugsohle große Sorgfalt erforderte, da war Friedrich Brahms unser Mann. Auf seinem Schlepper lagen der Görbingspaten und der Zollstock zur Überprüfung der Arbeit griffbereit. Und er prüfte.
Sein Schlepper war für ihn dasselbe wie für den Soldaten das Gewehr: seine Braut! Und so behandelte er auch seine Maschinerie, den Raupenschlepper bei der Ackerarbeit und den Radschlepper im Ernteeinsatz auf der Landstraße.
Es gab ein Ereignis, das für seine Einstellung zu dem Gerät kennzeichnend war: Es war in der Frühjahrsbestellung, als er den Acker saatfertig machen sollte. Eile war geboten, so daß er sich die Arbeit mit einem zweiten Mann teilen mußte, um Unterbrechungen zu vermeiden. Als dieser eines Tages ohne Ölkanister aufs Feld kam, und dadurch die Arbeit unterbrochen werden mußte, bis Öl herangeschafft war, paßte das so gar nicht in Friedrich Brahms‘ Programm: Zur Belehrung des Säumigen gab es derbe Prügel! Die über ihn verhängte Geldbuße dafür als Schmerzensgeld für den Betroffenen zahlte ihm der Betrieb danach heimlich zurück!
Es gab eine ganze Reihe ähnlicher Episoden. So war das Pflügen in Spitzenzeiten bei Nacht bei den Männern gar nicht beliebt. Und siehe da, nach einiger Zeit funktionierte die Beleuchtung am Schlepper nicht mehr – und auch der Monteur der Stettiner Firma sah sich außerstande, den Schaden zu reparieren. Das war gar nicht zu verstehen. Erst viele Jahre später, bei einem Zusammentreffen nach der Vertreibung, erfuhr ich augenzwinkernd, daß der Monteur überredet worden war, den Fehler an der Lichtanlage nicht zu finden. So war ich ganz elegant hereingelegt worden.
Eine wichtige Begebenheit war in jedem Jahr für die Kinder des Dorfes die Weihnachtsfeier in der Diele des Hauses unter einem hohen lichtergeschmückten Weihnachtsbaum. Das war von jeher so, und in jedem Jahr sagten die Kinder, beim kleinsten beginnend, ihre Weihnachtsgedichte auf, so manches Mal vor Schüchternheit stotternd und schon nach dem Gabentisch schielend, wo für jeden ein Geschenk bereit lag mit Nüssen und Pfefferkuchen dabei.
In jedem Jahr fand auch am 15. Mai im großen Rahmen die Geburtstagsfeier des Hausherrn statt. Der Eßsaal gab den glänzenden Rahmen für eine wohlbestückte Tafel ab. Es war ein Herrenessen, an dem die Damen des Hauses nur am Anfang teilnahmen. Nachher ging es bei Wein und Bowle laut und vergnügt zu. Es war keine lange Zeit mehr zwischen Verabschiedung und Sonnenaufgang.
Zu dem Gutsbetrieb gehörte der Dorfkrug und eine Ziegelei. Die Gastwirtschaft lag am Anfang des Dorfes, ganz geschickt in der Nähe des Bahnhofes. Neben dem Gebäude mit dem Tanzsaal gab es im dazu gehörenden garten den Tanzpavillon. Hier war der Ort für die Erntefeste, an denen das ganze Dorf lebhaften Anteil nahm.
In einem Jahr, es mag so etwa 1925 gewesen sein, sollte es ganz besonders attraktiv zugehen und die Stimmung durch Raketen und Böllerschüsse angeheizt werden. Da ging die ganze Ballerei entgegen dem Festprogramm schon in der Lagerstätte der Feuerwerkskörper im Gutshaus los! Und die Feuerwehr mußte ihres Amtes walten. Es ging alles gut, bis auf den fürchterlichen Schreck bei meiner Mutter und meiner Frau – und ich habe nie wieder etwas von einem Feuerwerk bei solchen Gelegenheiten gehört.
In unserer Familie trat bald eine einschneidende Veränderung ein: am 22. Juni 1933 wurde August-Hermann im Kreiskrankenhaus von Berenswalde geboren. Zu seinem Einzug in Heinrichsaue wurden Mutter und Sohn mit Kutscher im Zylinder, an der Peitsche eine bunte Schleife, eingeholt. Von der Fahnenstande auf dem Rondell vor dem Hau wehte die schwarz-weiß-rote Fahne. Und im Herbst wurde zu Ehren des »Kronprinzen« zusammen mit dem Erntefest auf dem Speicher mit fettem Schweinebraten und Rotkohl, mit Schnaps und Bier, mit der ganzen Gefolgschaft gefeiert und getanzt bis zum frühen Morgen. Gewaltige Reden wurden geschwungen, die von manchen Rednern nicht mehr ganz bis zum Ende durchgestanden wurden – da hatte sie der Schnaps besiegt! Und man sagte, ohne eine kleine Klopperei in den frühen Morgenstunden seien solche Feste nicht zünftig gewesen. Aber es beruhigte sich alles durch gegenseitige Hilfe, und manch einer wachte bei Sonnenaufgang ein bißchen frierend und kreuzlahm in den Feldbahnloren wieder auf. Dann war es richtig schön gewesen!
Wir alle warteten. Ja, worauf warteten wir eigentlich? Bis zur letzten Minute hoffte jeder, daß das Unglück noch an uns vorübergehen würde. Wir waren zusammengerückt. Im Gutshaus übernachtete niemand mehr. Bei einem Überfall wäre das das erste Angriffsziel gewesen. Es war durch Flüchtlinge aus besetzten Dörfern bekanntgeworden, daß sich die Eroberer mit dem Gebrüll: »Wo ist Kapitalist?« auf die Besitzer gestürzt hätten. Das war dann auch deren gnadenloses Ende. Das Gutshaus in Tiefenbruch war schon tagelang vorher als Unterkunft für die Fliehenden und für ihre Pferde die Scheunendielen eingerichtet. Die Fußböden waren mit dicken Lagen Stroh bedeckt, darüber Ernteplanen ausgebreitet. Für die Pferde gab es Hafer als Futter zum Mitnehmen. Denn länger als eine Nacht blieben die Trecks nicht. Nur weiter, weiter bis über die Oder! Das waren noch 75 km, und der Russe wurde kaum noch aufgehalten und folgte schnell.
Die letzten Nächte schlief ich auf dem Sofa in der Wohnung von Karl Brahms; auch das Hauspersonal, soweit es noch da war, hatte Unterkunft in den Wohnungen der Deputanten gefunden. Die Polen waren verschüchtert und verhielten sich noch abwartend. Genau wie wir hatten sie zuviel von den Greueltaten der Russen gehört, die die Menschen niederschlugen und, wenn sie den nötigen Alkohol gefunden hatten, alles quälten und mordeten, was ihnen in die Quere kam. Sogar mit ihren Panzern zerquetschten sie die Wehrlosen. Diese Nachrichten brachten Augenzeugen aus dem Raum Plagow mit, wo die Russen ein Auslieferungslager einer Stettiner Likörfirma entdeckt und leergesoffen hatten. Die Furcht ging um.
Am Morgen des 03. Februar war es so weit. Als wir mit Hellwerden, so um sieben Uhr, vor die Häuser traten, sahen wir den Horizont von den flackernden Flammen der Nachbardörfer […] rot erhellt. Ein Telefongespräch mit den Bauern aus dem brennenden Dorf gab uns Gewißheit: die Russen sind da, sie schießen wild auf alles, was sich zeigt, plündernd und sengend ziehen sie von Hof zu Hof. »Macht, daß ihr noch lebend wegkommt!«
Da kam auch schon ein Kommando einer Batterie, die ihre Geschütze auf der Höhe 63 hinter den Deputantenhäusern in Stellung bringen sollten. Berenswalde war von drei Seiten eingekreist, nur noch der Weg nach dem Norden war offen. Da gab es kein Zögern mehr. »Wir ziehen nur in den Wald von Siebenthin. Wenn der Russe vorbei ist, trecken wir zurück.« Das war der letzte Hoffnungsschimmer der Leute, an den sich jeder klammerte, an den im Grunde so recht keiner mehr glaubte. Und so war es; denn alle Treckwagen kamen nach beschwerlicher Fahrt in Glatteis und Kälte in Kaltenhof bei Perlenberg an. Zurück blieben nur die Polen und der Tierzuchtmeister Lorenz, der nicht wegkonnte, weil seine Frau noch am frühen Morgen in die Stadt zum Einkaufen gelaufen war. Und unsere Mamsell Christel Schulz, die noch versucht hatte, zu ihren Eltern, Bauern aus Schwerinsfeld, durchzukommen, aber vergebens, da war schon der Russe.
Ich selbst fuhr mit dem Einspänner zu Onkel Max Deich nach Liebenow, nachdem wir vorher vereinbart hatten, gemeinsam gen Westen zu ziehen. Die Fahrt nach Liebenow war ein Unterfangen ohne Kenntnis der militärischen Lage. Es gab keine geschlossene Abwehrfront mehr, nur noch einzelne Stützpunkte ohne Verbindung miteinander, dazwischen Vorstöße feindlicher Panzer oder Spähtrupps, die jederzeit auftauchen konnten und Jagd auf jedes Fahrzeug machten. […]
Noch in derselben Nacht brachen wir auf aus Liebenow, zusammen mit dem Nachbarn Grieffenhagen aus Friederikefelde. Es war die letzte Möglichkeit, herauszukommen. Denn schon am Morgen des 04. Februar, also weniger als einen Tag nach unserem Aufbruch aus Heinrichsaue, wurde unser Hof von den Russen besetzt!
Das war das Ende. […] Alles, was in 40 Jahren in Heinrichsaue aufgebaut worden war, ging an einem einzigen Tag verloren.
Sämtliche Namen und Gutsnamen wurden verändert.