Im Tale der Zeiten stand dort ein junger Mann. Friedrich ward er genannt, Sohn des Heinrich, Enkel des August. Ein hagerer Bursche mit blondem Haar, so hell, daß die untergehende Abendsonne es gülden färbte. Von Freunden hatte er sich abgewandt und das Lachen, das ihm in jungen Jahren sanfte Grübchen neben den Mundwinkeln beschert hatte, war schon lange verstummt. Seine Vorfahren waren Bergmänner und Soldaten, und viele Generationen zuvor lebte auch ein Friedrich in der Geschichte der Ahnen, der als Abenteurer bekannt war, aber als Mörder gerichtet wurde. An diesem halbsonnigen Abend lehnte Friedrich sich vor seinem Schreibstisch zurück und legte die Stirn in wogenhafte Falten, als er zu seinem mysteriösen Urahn reiste. Was mußte es für ein Gefühl gewesen sein, die Weltmeere zu bereisen, die Gischt im Nacken und das Gold im Blick? Friedrich griff nach seiner Pistole, aber da war keine. Ihm schmolz das Herz wie das Eisenerz im Hochofen des Tales Stahlwerk. Die Sonne war untergegangen. Und doch gönnte die Stadt der Nacht kein Dasein … wo einst die Sterne vom Himmel die Nachtmenschen grüßten, vertrieb nun der Mensch die Dunkelheit des Nachthimmels mit Neonlicht.
Im Spiegel des Schlafzimmers sah er nichts – er erschrak. Und als er mit wehmütigem Zorn auf das Glas einschlug, zersplitterte sein Antlitz vor seinen leblosen Augen. Die Sterne des Spiegels fielen dem Parkettboden entgegen. Doch es kümmerte ihn nicht, als er das Licht löschte und damit auch den Spiegelsternen das Lebenslicht nahm. So schlief er ein.
Tief in den Schlaf gerauscht, öffnete sich plötzlich das Tal und Friedrich schien zu rennen; er rannte der Weite der Talmündung entgegen, die nun einer Steppe zu gleichen schien. Er blinzelte in den Himmel und hielt sich, geblendet, seine linke Hand vor die Augen: Die Sterne waren zurückgekehrt. Plötzlich bemerkte er, daß er nicht länger rannte, sondern dem Erdboden entflohen war und nun zu fliegen schien. Ihm wurde ganz warm in der Brust und während er das Tal hinter sich ließ und im Sternenzelt Einkehr suchte, hörte er aus allen Richtungen eine tiefe, gar magische Stimme, die seinen Namen rief. Er schaute wild um sich, aber als er niemanden finden konnte und stattdessen den Worten lauschte, die er dort vernahm, bemerkte er, wie sie seinem eigenen Mund entsprangen. Ihm war, als hätten die Worte ihm das Fliegen geraubt; als wären sie der Damm, der den rauschenden, den tosenden Fluß gebändigt und ihm seines Lebens entzogen hätten. Nicht die Worte selbst, sondern das Versteck der Worte; die Erkenntnis dessen, was ihm innewohnte und doch verborgen geblieben war. Er lauschte gebannt:
»Du sinnlicher Jüngling, ich rufe Dich heim,
zu schlagen die Schwere der Seele,
mit Schwertern und Degen;
empfange den Geist, den ich Trug in mein Sein
Nur Du bist erkoren das Feuer, das einst
in den Herzen der Jugend soll brennen
auf den Gipfel des Berges mit ewigem Schein
zu tragen; die Flamme muß leben.
Schenk ihren Augen, was boshaft gestohlen:
Glanz und lohender Sinn, freudvolles Lachen
Die Sterne, sie leiten und funkeln,
Ich rufe die Jugend heim
Nur Du sollst die Weisung erben:
Leb ewig im Traume, im ewigen Schein
Oder stirb in Trauer auf Erden«
Und so sah Friedrich selbst, wie die Hülle des Geistes – sein Körper – dem Boden zufiel. Er stürzte dorthin, wo die kalten Lichter der Stadt den leblosen Leib hungrig empfingen und ihn in die Vergessenheit trugen. Doch Friedrich flog weiter und spiegelte sich im Glanz der Sterne. Klarer als der Himmel war bloß sein Blick. Es schien ihm, als würde seine rechte Hand stetig wärmer werden, und als er sie ausstreckt, um ihre Innenfläche zu betrachten, loderte plötzlich eine tanzende Flamme darin auf. Es war das Feuer der Jugend, das man ihr böswillig geraubt hatte. Trübe Augen als Ausdruck der inneren Gräue wurden ihr gelassen – nicht etwa aus Güte, um ihr das Augenlicht zu bewahren, sondern aus Häme und Niedertracht: Die Jugend sollte sich bewußt werden, daß sie verraten und hoffnungslos zurückgelassen worden war. Man hatte ihr den Glanz des Feuers gestohlen und den Berggipfel in Dunkelheit geworfen.
Friedrich brannte nun und er flog höher, um den Berg mit der angedachten Flamme zu krönen. Er spürte die Feuchtigkeit des Hochnebels, der ihn am Rande des Massivs empfing und das Feuer der Jugend zu verführen versuchte. Unter ihm, auf einer Lichtung inmitten dunkler Nadelbäume, kämpften zwei Braunbären um die Vorherrschaft des Waldes. Sie bäumten sich auf, Friedrich hörte ihr Gebrüll in der Höhe, dann schnappten sie gegenseitig nach der Kehle des Kontrahenten. Die tödlichen Pranken verkeilten sich ineinander und die Köpfe wanden sich, auf der Suche nach des Anderen Schwachstelle. Beide wurden mit gezielten Gewehrsalven totgeschossen. Der Kampf als äußeres Erlebnis. Während Friedrich den Nebel hinter sich ließ und angetrieben vom Abenteuer des Traumes dem Berggipfel näherkam, fing er an zu lachen. Die Schwere der Seele galt ihm nicht länger, er hatte sich davon befreit und war nun dabei, die Jugend ebenso davon zu erlösen. Er landete auf der Spitze des Berges und hockte sich nieder. Tief atmete er die Kälte der Lüfte ein, weit atmete er die Wärme des Daseins wieder aus. Kraftvoll drückte Friedrich seine rechte Hand auf den grauen Steingipfel und ließ die Flamme den gesamten Berg lichterloh das Tal überstrahlen. Die Sterne der Ferne leuchteten hell auf und fingen den Schein des Feuers ein; sie kamen näher, spiegelten das Licht in die Augen der Jugend hinab. Um ihn herum brannte es immer stärker und als Friedrich aufstand und in die Sterne schaute, sah er nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Urahn: Friedrich den Abenteurer, den Mörder. Er lebte in ihm auf und griff nach der Pistole, zielte in die Dunkelheit und schoß. Friedrich hatte die Welt ermordet. Aber Friedrich hatte den Traum wiederbelebt.