Im Ruhrgebiet stehen alle Zeichen auf Sommer. Das Gegröle belangloser Fußballlieder vor den Trinkbuden und Bushaltestellen hält bis spät in die Nacht an, Volkswagen- und BMW-Reifen quietschen noch lauter und der Gestank von Hundekot, der neben die wenigen Baumstämme im Stadtgebiet geschissen wurde, vermischt sich mit dem von Arabern und anderen fremdländischen Hygieneliebhabern. Letztes Jahr, ich kann mich noch genau daran erinnern, mußte ich selbst am Stadtrand, an einem kleinen Bach, der dort zwischen den Feldern vor sich hinplätschert, die abgehackten Laute von drei Nordafrikanern vernehmen und ihre pure Existenz zerstörte die malerische Landschaft. Mein Tag war ruiniert. Neben mir fuhren gerade zwei Typen auf einem elektrischen »Cityroller« vorbei. Ich habe das nie verstehen können: Da gehen erwachsene Männer mehrmals die Woche trainieren, halten sich für Ebenbilder von Göttern, mimen das volle Testosteron-Faß – und klammern sich dann auf dem Cityroller wie zwei Schwuchteln aneinander, während einer von ihnen an einer E-Zigarette saugt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite liefern sich ein fettleibiger Rollstuhlfahrer und ein heruntergekommener Penner einen Wettkampf um die Ziellinie am Zeitungskiosk, dem Heiligtum eines jeden Geisteskrüppels und Alkoholikers. Der Rollstuhlfahrer ist nicht einmal behindert, sondern einfach nur fett und faul. Sobald er aber die Tür seines Mekkas erreicht hat, kann er sich mit einem nahezu vitalen Schwung vom Rollstuhl hieven und bricht dabei fast noch die Deutschlandfahne aus Plastik vom Seitenspiegel ab. Aber welche Erwartungen hegt man an die vielen Gelsenkirchens und Bochums des Ruhrgebiets? Eben.
In Italien, sagen wir mal an der Adria, am kleinen Fischerhafen von Bisceglie, wo die goldene Morgensonne die verspielten gußeisernen Straßenlaternen überflüssig macht und die alten Festungsmauern erröten läßt, hört man durchgehend den Lärm von Vespas und Piaggios, die ihre Motorenmusik durch die kopfsteingepflasterten, engen Straßengassen in Richtung des Meeres tragen. Der südländische Menschenschlag ist von grundsätzlich lauter Natur, extrovertiert und unbekümmert im Umgang mit anderen Menschen. Unaufhörliches Fluchen eines alten Fischers, herzliche Begrüßungen und lautstarke Telephonate vermengen sich mit der Geige eines Straßenmusikanten, der die Lieder von Trovajoli oder Piccioni im Kanon mit den leichten Wogen des Meeres, die die bunten Fischerboote beruhigend auf- und absteigen lassen, tanzen läßt. Von irgendwoher stimmen vereinzelt Katzen euphorisch in das Konzert ein. Ich schließe meine Augen, lehne den Kopf nach hinten und atme tief ein … gegrillte Sardellen und Sgombri … Knoblauch und frische Kräuter … intensiver Kaffeeduft und süßes Gebäck … der Geruch des Meeres; Seetang und nasses Holz … und natürlich ein bißchen Abgas und Müll – Italien! Es gleicht einer malerischen Szenerie, die mit Leben gefüllt worden ist und sich von der Leinwand erhebt, um den Betrachter in Farbe zu verwandeln und in sich hineinziehen will.
Hierzulande wiederum läßt sich am Ausländerlärm nichts musikalisches oder gar musisches feststellen: Er ist unrhythmisch, unerträglich – und vor allem unerwünscht. Würde Nietzsche noch leben, er würde sich auf der Stelle erneut gen Italien begeben und die hiesige Schwere abzuschütteln versuchen. Auch Goethe schrieb davon, man vergesse »sich und die Welt«, und es sei »eine wunderliche Empfindung, nur mit genießenden Menschen umzugehen.« Ich will die Schwere des Ruhrgebiets nicht ausschließlich den Fremden, die für die akustische und olfaktorische Belästigung der Einheimischen verantwortlich sind, in die Schuhe schieben. Diese Gräue, das Gefühl von Stagnation, die einen selbst zu einer ihrer Nuancen mutieren läßt, ist letztlich Kern eines Ordnungsstrebens, das nur noch als Abstraktion des Lebens fungiert und alles zu einem bürokratischen Akt verkommen läßt: ein paragraphisches Chaos entspricht schließlich keiner Ordnung. Diese Entfremdung vom Leben, von der Natur, gepaart mit architektonischer Niedertracht und demographischer Überfremdung, hält den Geist des Deutschen gefangen. Man senkt das Leben zugunsten überhöhter Moral – und damit auch die Erwartungen an sich selbst.
Stell Dir vor, Du besitzt ein Haus in der Toskana. Du läufst oder fährst auf einem Weg – eine Allee, beschützt von Zypressen, die Dir säulenartig salutieren –Deinem Wohnsitz entgegen. Und ich meine damit nicht wie Russell Crowe in Gladiator, der dort seine ermordete Familie am Dachbalken baumeln findet. Nein, Du kommst nach Hause und hörst Deine Kinder lachend im Schwimmbecken spielen und Deine Frau räkelt sich auf der Terrasse in der Sonne. Pinien- und Olivenbäume versprühen einen Geruch von Heimat und selbst wenn Du in der grauen Gegenwart keinen Alkohol trinken magst, läßt Du Dich in der Toskana liebend gern vom Rotwein, den Dein Nachbar Giovanni in seiner Privatkelterei produziert hat, und der Leichtigkeit des Lebens berauschen. Lebensbejahung.
Vielleicht brauchen wir ein bißchen mehr »Me ne frego« in unserem »Zucht und Ordnung« – und Deutschland bis zum Mittelmeer … warum eigentlich nicht?